Projekte und Forschungsthemen
I) Literatur- und kulturwissenschaftliche Forschung
Ungarische Literatur im europäischen Kontext
Die Geschichte der internationalen Vernetzung und der interkulturellen Bezüge der ungarischen Literatur und Kultur stellt einen hervorgehobenen Forschungsschwerpunkt der Abteilung dar. In diesem Zusammenhang steht insbesondere die Beschäftigung mit Fragen der Regionalität und Minderheitenliteraturen aus u.a. literatursoziologischer und kulturpolitischer Perspektive im Vordergrund, die wiederum zahlreiche Anknüpfungspunkten zu den Literaturen und Kulturen der Nachbarländer bieten.
In diesem Kontext liegt ein weiterer Schwerpunkt unserer Abteilung, die bislang als alleinige Ausbildungsstätte in Österreich für das Lehramt Ungarisch Sekundarstufe fungiert, speziell auf der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Burgenland sowie der ungarischen Volksgruppe in Österreich und den mit ihr verknüpften volksgruppenspezifischen Fragen der Kultur, Bildung und Sprache. Letzterer wird im Zuge der Beschäftigung mit dem Thema der literarischen Mehrsprachigkeit in Form von Projekten aber auch Lehrveranstaltungen besonders Rechnung getragen. Dies geschieht unter anderem auch im Rahmen von an unserer Abteilung laufenden, zum Teil interdisziplinären Forschungen im Bereich der finno-ugrischen Sprachwissenschaft (u.a. MILISE - Minority Literatures in Society and Education).
Kulturgeschichte der Frau, Frauenliteratur
Die Forschungsgruppe WOMEnKULT ist durch die Organisation verschiedener thematischer Veranstaltungen (Workshops, Konferenzen, internationale Seminare) und durch die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten in den internationalen Diskurs der Frauengeschichtsforschung eingebunden. Die internationale Frauengeschichtsschreibung, die in den letzten Jahrzehnten an Dynamik gewonnen hat, stellt einen multidisziplinären Zweig der Kultur- und Sozialwissenschaften dar, der aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen reflektiert und aus historischer Perspektive zu erhellen versucht. Dementsprechend konzentrieren sich die aktuellen Hauptthemen der Forschungsgruppe auf die historische Rolle der Frau in der literarischen und kulturellen Öffentlichkeit und in der Kulturvermittlung.
Transnationalismus und Kulturvermittlung
Die Vermittlung ungarischer Literatur und Kultur an die akademische aber auch breitere Öffentlichkeit spielt eine wichtige Rolle im Bereich der hungarologischen Forschungen und deren Dissemination. Die transnationale und transkulturelle Vermittlung ungarischer Literatur ist eine der Hauptaufgaben der Hungarologie, weshalb die Abteilung auch Teil einer internationalen hungarologischen Forschungsgruppe ist, deren Ziel die Herausgabe einer transnationalen, mehrsprachigen Geschichte der ungarischen Literatur ist. Ziel der laufenden literaturgeschichtlichen Arbeiten ist es, die Geschichte der ungarischen Literatur vor allem im Zusammenhang der Literatur der jeweiligen Nachbarländer zugänglich zu machen, indem die Methodik der vergleichenden Studien und der Kontextualisierung angewandt wird.
Comicwissenschaft
Comics sind ein integraler Bestandteil der ungarischen Kultur, und ihre wissenschaftliche Erforschung ist auch Teil des Forschungsportfolios der Abteilung. Als multidisziplinäres Fachgebiet konzentriert sich die Forschung im Bereich der Comics Studies an unserem Institut auf die historischen und aktuellen Tendenzen des ungarischen Comics sowie auf seine interkulturellen, intermedialen und transnationalen Beziehungen. Derzeit laufen die Arbeiten an der Vorbereitung eines großangelegten, mehrjährigen Projektes, das die Geschichte des ungarischen Comics im multidisziplinären Kontext von Medienwissenschaft, Pressegeschichte, Literatur- und Kulturwissenschaft schreiben soll.
Ungarische Kinder- und Jugendliteratur
Die Kinder- und Jugendliteratur spielt in der zeitgenössischen ungarischen Literatur bereits vor dem Aufkommen der All-Age- und Crossover-Literatur eine bedeutende Rolle, die sich insbesondere angesichts der Bedeutung der Neuen Medien und diversen jugendkulturellen Entwicklungen nur verstärkt hat. Neben der Beschäftigung mit den vielfältigen künstlerischen Ausdrucksformen der ungarischsprachigen KJL sowie deren Entstehungs-, Vermittlungs- und Kanonisierungsprozesse unter Berücksichtigung nationalgeschichtlicher Bedingungen, wird besonderer Fokus auf Fragen der Regionalität und Mehrsprachigkeit sowie der Rolle von KJL in der Sprachvermittlung gelegt. Zusätzlich wird eine Vernetzung in diesem Forschungsbereich auf internationaler Ebene sowie im finno-ugrischen Kontext im Speziellen vorangetrieben, um diverse Forschungs- und Lehrprojekte in diesem Bereich umsetzen zu können.
Handbuch und Textsammlung zur Literaturgeschichte
Das Projekt basiert auf der allgemeinen Erfahrung, die im Zuge der Übersetzung ungarischer Literaturgeschichte ins Deutsche gemacht wurde, nämlich dass Übersetzungen früher ungarischer literarischer Quellen, vor allem aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert, einerseits in Bezug auf bestimmte Autoren oder Gattungsgruppen und Genres eher lückenhaft und meist sprachlich veraltet sind, andererseits in vielen Fällen überhaupt nicht vorliegen. Dementsprechend beabsichtigen wir, in vier zweisprachigen Handbüchern, der historischen Chronologie folgend, mit einer kontextualisierenden Einleitung und literaturgeschichtlichen Anmerkungen, eine moderne Übersetzung der wichtigsten ungarischen literarischen Werke (oder Auszüge aus diesen) zu veröffentlichen.
Bewertung der Sprachkompetenz von ungarisch-deutsch zweisprachigen Kindern
Das linguistische Projekt der Abteilung zur Mehrsprachigkeit untersucht die Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen ungarisch-deutscher zweisprachiger Kinder in beiden Sprachen mit Hilfe eines standardisierten Sprachdiagnoseverfahrens namens VASE 6-9. Die Altersspanne der untersuchten Kinder beträgt 6-10 Jahre, wobei alle in einer zweisprachig ungarisch-deutschen Schule eingeschrieben sind. Die auf Basis von Bildimpulsen hergestellten Tonaufnahmen werden transkribiert, die nach bestimmten inhaltlichen, semantischen und grammatikalischen Kriterien ausgewertet werden. Die Interviews werden nach einem bestimmten Zeitraum wiederholt und mit den Ergebnissen der vorherigen Interviews verglichen, um ein detailliertes Bild der (individuellen) Sprachentwicklung der Kinder zu erhalten.
II) Sprachwissenschaftliche Projekte und Kooperationen
Zu den drittmittelfinanzierten Projekten der Wiener Finno-Ugristik gehören
- LIDIVOKA (Linguistic Diversity in the Volga-Kama area): Internationales Forschungsprojekt finanziert durch die FWF und RFBR/РФФИ (Russland) (2020–2023)
- Hungarian historical phonology reexamined (with special focus on Ugric vocabulary and Iranian loanwords: Postdoc-Projekt von Sampsa Holopainen, finanziert durch die ÖAW (APART-GSK) (2021–2023)
- Ungarisch und Deutsch: Sprachentwicklung von zweisprachigen Volksschulkindern in Wien (UNDEWI): Teilfinanzierung durch die Stadt Wien (2021–2022)
- The Mari Web Project: Projekte zum Schaffen von Online-Ressourcen für die marische Sprache, finanziert durch die FWF (2011-2013) und dann durch die Kone-Stiftung (Finnland)
- ELDIA (European Language Diversity for All), ein EU-finanziertes (7. Rahmenprogramm) internationales Projekt zu finnougrischen Minderheitensprachen Europas (2010–2013)
- Ob-Ugric languages: conceptual structures, lexicon, constructions, categories, Teilprojekt eines internationalen ESF-Projekts im Projektbündel EuroBABEL, finanziert in Wien durch die FWF (2009–2012), sowie das Nachfolgeprojekt Ob-Ugrian Database: Text Corpora and Dictionaries
- Typologie der Negation in den obugrischen und samojedischen Sprachen, finanziert durch die FWF (2008–2011)
Auf dem Gebiet der angewandten finnougrischen Sprachwissenschaft (Sprachlehr- und -lernforschung mit finnougrischen Zielsprachen) soll ein weiterer Forschungsschwerpunkt aufgebaut werden. Dazu dient auch das internationale Kooperationsnetzwerk VIRSU (Finno-Ugric Languages as Target Languages), dessen Koordination teilweise bei uns in Wien liegt.