Stimmen: Interviews zur Geschichte der Wiener Fennistik
Interview mit Kasimir Nemestothy, einem ehemaligen Hörer auf der Fennistik Wien
Wann haben Sie auf der Fennistik Kurse belegt?
Das war 1984. Ich habe für drei Jahre lang die Sprachkurse belegt, bei Fr. Holtari.
Ihre Motivation?
Meine Frau ist Finnin! Mit unserem ersten Kind, das im Sommer 1984 geboren ist, wollten wir Finnisch sprechen. Ich konnte Finnisch bereits ein wenig, weil ich ein Jahr zuvor Intensivkurse auf der Universität Helsinki belegt hatte. Das war sehr intensiv, ich glaube zwei Mal 4 Stunden wöchentlich.
Waren Ihre Finnisch-Kenntnisse dadurch also schon etwas gehoben, als Sie in Wien die Kurse belegten?
In der Theorie schon. Die Übung fehlte ein wenig. Die bekam ich dann dadurch, dass in dem Kurs bei Fr. Holtari maximal nur 10 Leute waren, aber zumeist waren wir in den Stunden zu fünft. Es kam auch vor, dass man zu zweit Unterricht hatte, oder sogar alleine – fast persönliche Betreuung. Und ein großer Motivator und Praxisbezug war dadurch gegeben, dass ich mit meinem Sohn Finnisch gesprochen habe, oder es versuchte. Mein Finnisch war damals aber noch ziemlich holprig. (lacht) Mit 2-3 Jahren hat mein Sohn sich beschwert, wenn ich ihm abends vorlas: „Äidin pitää lukea, mä en tajuu mitään, jos Isi lukee!“ (dt: „Mama soll vorlesen, ich verstehe nichts, wenn Papa liest!“) Aber grundsätzlich hatte es schon eine gute Wechselwirkung, dass ich die Sprache gleichzeitig mit meinem Sohn gelernt habe.
Wie war der Unterricht bei Anja-Leena Holtari?
Lebhaft und sehr lustig. Sie hat offensichtlich Spaß gehabt daran.
Irgendwie vergleichbar mit den Intensivkursen in Finnland?
Dort waren es 30 bis 40 Studierende, der Kurs nannte sich etwa Finnisch auf Finnisch für Ausländische Studenten. Das ist nicht so einfach zu vergleichen mit einer Gruppe von 5 Menschen, wodurch das Tempo und der Inhalt viel leichter an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden konnten.
Erinnern Sie sich noch an die Gründe der Kollegen, Finnisch zu lernen?
Ich glaube, es waren mehrere dort, die Bekannte oder Freunde bzw. Freundinnen aus Finnland hatten. Aber genauer erinnere ich mich nicht mehr.
Wie war die Beziehung zum Lehrpersonal?
Unkompliziert, wir duzten einander.
Und die Beziehung zu den Kollegen?
Auch sehr ungekünstelt. Allerdings war ich von meiner Familie eingenommen, sodass keine tieferen Freundschaften entstanden.
(Fabien Nemestothy)
Interview mit BA Raija Macalka (ehemalige Studentin an der FU und Lehrerin für Finnisch an der VHS Brigittenau sowie Vienna International School)
Wann haben Sie eigentlich begonnen an der Finno-Ugristik zu studieren?
Schwer zu sagen, aber schon ziemlich bald, als das Institut gegründet worden war. Vielleicht hat mein Mann noch etwas vor mir begonnen... genau kann ich das nicht mehr sagen.
Wie muss ich mir das eigentlich vorstellen? Man hört immer nur, dass es sehr klein und familiär war.
Es war sehr „familiär“. Das ist richtig. Die Räumlichkeiten im 9. Bezirk waren ja nur ein Provisorium. Es gab nicht mal eine eigene Bibliothek. Die Bücher waren alle im Büro von Anja-Leena Holtari untergebracht, wo auch die Lehrveranstaltungen abgehalten wurden. Man muss sich vorstellen, dass es damals noch nicht mal ein Rauchverbot in diesen Räumlichkeiten gab. Prof. Rédei hat oft während seiner Vorlesungen Pfeife geraucht. Nicht ganz ungefährlich bei dem vielen alten und kostbaren Papier. Ich habe dann etwas Druck gemacht und daraufhin wurde dann doch ziemlich bald von Frau Prof. Holtari ein Rauchverbot ausgesprochen.
Wie war das mit dem Ausleihen von Büchern?
Das war nicht möglich. Bücher wurden grundsätzlich nicht ausgeliehen. Die musste man dort lesen oder man konnte Abzüge machen. Kopierer gab's ja damals auch noch nicht.
Und dort wurden alle Vorlesungen bzw. Übungen abgehalten?
Ja! Aber Übungen gab es keine, sondern nur Vorlesungen. Nicht mal der Spracherwerb war eine Übung. Soweit ich mich erinnere, war für die Sprachkurse auch keine Inskriptionspflicht. Manchmal sind wir allerdings für Vorlesungen zu Prof. Holtari nachhause ausgewichen.
Klingt wirklich sehr familiär und ziemlich gemütlich.
Schon, aber man durfte sich davon nicht blenden lassen. Die Prüfungen waren deshalb nicht leicht. Im Gegenteil, ich glaube teilweise sogar schwieriger als heute. Überhaupt gab es sehr viele Ausfälle. Vor allem was die Spracherwerbskurse angeht. Manche haben diese Atmosphäre eben doch etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen.
Das bringt mich gleich zu meiner nächsten Frage. Wie war das Publikum damals? Wer hat damals finnisch bzw. Finno-Ugristische Sprachwissenschaft studiert?
Es gab schon „normale“ Studenten, die sich nur für die Sprache interessierten oder irgendeinen Bezug zu Finnland hatten, aber der Großteil waren eigentlich maahanmuuttajat (‘Einwanderer’) so wie ich. Das heißt, wir waren fast ausschließlich unter uns. Einen richtigen Studienplan gab es damals noch nicht.
Wie sah das aus mit Wahlfächern oder Curricula wie man heute sagt?
Es gab nur die Sprachkurse, die übrigens alle auch für uns Muttersprachler Pflicht waren (Sprachbeherrschungsprüfungen wie heute gab es damals noch nicht, aber wir haben eine interne Lösung gefunden), und die Sprachwissenschaftsvorlesungen. Die Literaturlehrveranstaltungen kamen erst später mit Gastprofessoren. Es war allerdings Pflicht 4 Semester Ungarisch zu lernen und 3 Nebensprachen zu absolvieren. Ich habe z.B. Estnisch, Marisch und Syrjänisch gelernt, mein Mann Schwedisch, Niederländisch und Karelisch.
Und internationale Kontakte? Also zu anderen Finno-Ugrischen Instituten?
Wir bzw. Anja-Leena Holtari musste das alles ja erst aufbauen. Internationale Kontakte mit anderen FU-Instituten usw. Zu dem Zweck haben wir oft Exkursionen, also Studienreisen gemacht. Zum Beispiel nach Tallinn. Prof. Holtari war da sehr engagiert und hat neben Kongressen alle möglichen kulturellen Veranstaltungen organisiert.
Können Sie noch etwas über Ihre Lehrtätigkeit an der VHS-Brigittenau sagen? Welche Schüler haben diese Kurse besucht?
Der Anfängerkurs war eigentlich immer wechselnd besetzt, also nie dieselben Schüler. Die Gruppen waren auch vom Alter durchaus sehr gemischt. Oft waren Angestellte von finnischen Firmen im Anfängerkurs. Da war der Arbeitgeber dahinter, dass die Mitarbeiter vor einer Dienstreise nach Finnland ein wenig die Sprache und auch die Kultur kennenlernen. Sonst sehr oft junge Männer oder Studenten mit finnischen Freundinnen. In den höheren Kursen wechselten die Teilnehmer nicht mehr so stark. Die Gruppe im sogenannten Konversationskurs hatte ich fast unverändert bis zum Schluss.
Wie kann man das Niveau an der VHS einstufen?
Große Fortschritte haben wir dort keine gemacht. Man muss ja bedenken, dass der Altersdurchschnitt höher ist, als an der Uni und dass beinahe alle Teilnehmer Vollzeit arbeiten und sich danach noch in den Kurs setzen. Die Konzentration war demnach nicht immer zu 100% vorhanden. Außerdem ist ja bei jedem eine unterschiedliche Ausbildung bzw. Sprachbegabung vorhanden. Druck machen oder beinhart Grammatik bzw. Vokabel prüfen hat in diesem Fall auch keinen Sinn, weil es ja keine Abschlussprüfung, wie an der Uni, gibt. Man muss die Schüler dort abholen wo sie stehen. Trotzdem gab es schon auch den einen oder anderen Enthusiasten, der selbständig Aufsätze geschrieben hat und fleißig Vokabel gelernt hat. Das habe ich immer unterstützt und in solchen Fällen habe ich schon große Fortschritte bemerken können.
Welche Unterrichtsmaterialien haben Sie an der VHS Brigittenau verwendet?
Lehrbücher, die mir gefallen haben, waren: Hei Suomi und Aletaan. Als Abwechslung habe ich aber auch eigene gesammelte Werke wie Zeitungsartikel verwendet oder die Schüler gefragt, ob sie irgendwelche Themen besprechen wollen. Vorzüglich natürlich Themen, die mit Finnland zu tun haben.
Und welche Tätigkeit haben Sie an der Vienna International School ausgeübt?
Dort habe ich die finnischsprachigen Kinder – z.B. von Diplomaten – stundenweise laut Lehrplan unterrichtet. Das war vorher Prof. Holtaris Aufgabe, sie bat mich allerdings das zu übernehmen aus Zeitmangel. Neben Finnisch habe ich auch Landes- und Kulturkunde unterrichtet. Das kann man natürlich nicht mit dem Unterricht an der VHS oder an der Uni vergleichen, weil das ja nur Muttersprachler waren. Und außerdem war es beinahe immer Einzelunterricht, wo auch der Lernfortschritt ein anderer ist, als in der Gruppe.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen, Fr. Macalka!
(Paul Czeike)
Interview mit Heini Lehtonen, Finnischlektorin in den Jahren 2005–2007
Wie war der Alltag des Lehrens?
Ich führte die Sprachübungen II-IV sowie die Vorlesungen Deskriptive Grammatik I-II und Landeskunde I-II. Die Vorlesungen waren auf auf Deutsch. In den Kursen zur finnischen Spracherwerb versuche ich immer, so viel Finnisch wie möglich zu sprechen. Außerdem hatte ich auch andere Aufgabengebiete wie zum Beispiel den Student Exchange Betreffendes oder das Organisieren von kulturellen Veranstaltungen und Konferenzen.
Wie viele Studenten gab es in Ihren Kursen? Wie war die Beziehung zu ihnen?
In den Sprachübungen gab es etwa 10-25, in den Vorlesungen zwischen 20 und 30 Hörer. Die Beziehung zu den Studenten war im Allgemeinen sehr gut. Viele interessierten sich ernsthaft für Finnland und waren motiviert, Finnisch zu lernen. Das machte die Arbeit des Lehrens sehr erfüllend.
Ich glaube, in den Augen der Studenten gab es sehr wohl einen Unterschied zwischen österreichischen Lektoren und mir. In Finnland ist die Distanziertheit zwischen dem Lehrpersonal und den Studenten geringer und die Autorität des Lektors unterscheidet sich ein wenig. Deshalb erscheint ein finnischer Lehrender den österreichischen Studenten bestimmt etwas entspannter und kameradschaftlicher. Eventuell war es für manche anfangs ungewöhnlich, sich darauf einzustellen, vor allem weil ich selbst noch sehr jung war und oft nur wenig älter als manche der Hörer. Ich glaube trotzdem, dass alle an den finnischen Typ des Lehrens respektieren gelernt haben. Allerdings: Nicht jeder hat mich geduzt, obgleich ich es jedem erlaubt hatte und auch betonte, dass man sich in dieser Situation in Finnland auf jeden Fall duzte. Es kam dann oft dazu, dass wir einander auf Finnisch duzten, auf Deutsch aber weiterhin siezten. Die Gewohnheiten der verschiedenen Sprachen sind einfach so.
Erinnern Sie sich noch, was die Studenten zum Finnisch lernen motivierte?
Unterschiedliches. Viele waren begeistert von finnischer Musik – HIM, Rasmus, Apocalyptica, andere von der Sprache allgemein und ihrer großen Differenz zu den hier verbreiteteren Sprachen. Manche spezialisierten sich im Zuge ihres Studiums auf nordische Länder und wollten deshalb mehr über Finnland wissen. Der eine oder andere wollte finnische Literatur übersetzen. Überraschend wenige hatten finnische Wurzeln oder Partner.
Was für eine Perspektive haben Sie von der österreichischen Universität bekommen? Kommt Ihnen etwas Bemerkenswertes in Erinnerung, wenn sie an ihre Zeit am Wiener Finno-Ugristik-Institut denken?
In den zwei Jahren, die ich lehrte, bekam ich keine so vielseitige Ansicht von der ganzen Universität, weil ich doch hauptsächlich in den Kreisen der Finno-Ugristiker arbeitete, wo eine ganz entzückende finnisch-ungarisch-österreichische Mischkultur herrschte. Die war wirklich eigentümlich. Im Großen und Ganzen habe ich die Ansicht bekommen, dass die Universität in Wien etwas konservativer und hierarchischer als die finnischen Universitäten, die ich kenne, ist.
Das interessanteste und zugleich anstrengendste in der Arbeit eines Gastprofessors ist, dass man zum Experten in allen Fragen wird, die das Heimatland betreffen: Obwohl ich von meiner Ausbildung her eine Sprachwissenschaftlerin bin, wurde ich mit vielen Fragen zur finnischen Kultur, Natur, Gesellschaft und Wirtschaft konfrontiert. Anstrengend ist das deshalb, weil ich das Bestreben hatte, auf alles eine Antwort geben zu können. Das wiederum machte meine Arbeit sehr abwechslungsreich und vielseitig.
Als Gastprofessorin wurde man zu vielen kulturellen Ereignissen, die im Zusammenhang mit Finnland oder dem Norden standen, eingeladen. Das gab der ohnehin angenehmen Arbeit eine sehr nette Ergänzung. Ich durfte so im Rahmen meines Berufes Bekanntschaft mit Schriftstellern, Komponisten und anderen interessanten Persönlichkeiten machen.
Haben Sie hier irgendwelche Erfahrungen gemacht, die noch heute auf ihre Arbeit bzw. Arbeitsweise wirken?
Ganz bestimmt. Erstens haben die Erfahrungen meine Identität als Lehrende bestärkt: Ich würde jetzt auch herausfordernde Lehraufträge nicht ablehnen! Zweitens bin ich der Meinung, jeder in der Sprachwissenschaft Tätige sollte Einsichten in das Lehren in einer fremden Sprache erlangen – dabei lernt man unglaublich viel von Sprache im Ganzen.
Was machen Sie zurzeit? Arbeiten Sie an Projekten?
Ich schreibe meine Doktorarbeit über die Sprache von Jugendlichen in den ethnisch vielfältigen Schulen Ost-Helsinkis. Mein Arbeitgeber ist das Institut für finnische Sprache, finnisch-ugrische und nordische Sprachen und Literaturen der Universität Helsinki. Ich bin hauptsächlich mit der Zusammenarbeit des Instituts mit den heimischen Forschungszentren beschäftigt. Außerdem habe ich ein paar Kurse auf der Universität gehalten.
(Fabien Nemestothy)