Geschichte der Abteilung
Seit Professor Mártons Wirken am Anfang des 19. Jahrhundert stand die Hungarologie oder die Hungaristik (ungarische Sprache und Literatur; Geschichte, Kultur- und Landeskunde Ungarns) gelegentlich im Lehrangebot einzelner Professoren der Wiener Universität, seit 1974 ist sie jedoch als Finno-Ugristik zur ständigen Einrichtung geworden.
Die Institutsgründung ist dem Germanisten Herbert Seidler, dem Slavisten Josef Hamm und dem Indogermanisten Manfred Mayrhofer zu verdanken - Professoren, die alle gute Kontakte zu ungarischen Wissenschaftlerkreisen hatten und alles getan haben, die durch den zweiten Weltkrieg entzweigerissenen kulturellen Fäden zwischen Österreich und Ungarn neu zu knüpfen. Als Gründungsprofessor wurde der damals 42-jährige Abteilungsleiter des Instituts für Sprachwissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, der international bekannte Finno-Ugrist Károly Rédei berufen. Im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1974/75 wird er noch als Gastprofessor geführt, doch seine Ernennung zum O. Univ. Prof. erfolgte bereits im Herbst 1974. In seiner Berufungszusage wurden ihm drei Assistenten- und drei Lektorenposten sowie die Möglichkeit zugesagt, ständig eine(n) GastprofessorIn für Ungarische Literaturwissenschaft einzuladen. Von den versprochenen drei Assistentenstellen konnten zwei realisiert werden (finnisch-ugrische Sprachwissenschaft, ungarische Literaturwissenschaft), von den Lektorenposten zwei (Ungarisch und Finnisch; der Estnischunterricht im Rahmen des Schwedischlektorats).
Im Jahre 2000 wurde Johanna Laakso, die zuvor an der Universität Helsinki unterrichtet hatte, als Nachfolgerin für den inzwischen emeritierten Károly Rédei an die Universität Wien berufen.
Provisorisch wurde das Institut für Finno-Ugristik zunächst in den Räumlichkeiten des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft in der Liechtensteinstraße einquartiert, doch bereits 1976 konnte der neue Standort Ecke Berggasse - Lichtensteinstraße bezogen werden. Ende 1998 übersiedelte das Institut schließlich in das frisch renovierte Haus im Campus Altes Allgemeines Krankenhaus.
In den ersten Jahren war durchwegs ungarisch die Unterrichtssprache, denn die ersten HörerInnen waren fast ausschließlich muttersprachliche UmsteigerInnen, die eines ihrer Fächer gegen Finno-Ugristik tauschten, als sie von der Gründung des Instituts gehört hatten. Mit der Zeit meldeten sich immer mehr HörerInnen, die nicht oder kaum ungarisch sprachen. Die Zahl der Studierenden nimmt ständig zu, nicht zuletzt auf Grund der Einführung des Lehramts Ungarisch Anfang der 1980er und des Systemwechsels in den Nachbarstaaten. Gegenwärtig haben wir ca. 100 HörerInnen, die entweder Finno-Ugristik als erste oder zweite Studienrichtung (Diplomstudium) oder eines der vom Institut angebotenen Bakkalaureats- und Magisterstudien inskribiert haben. Darüber hinaus besuchen zahlreiche Studierende die Sprachkurse (Ungarisch, Finnisch, Estnisch) und unsere Lehrveranstaltungen werden immer häufiger für Fächerkombinationen, Wahlfächerblöcke oder Erweiterungscurricula herangezogen.
In den wenigen Jahren seit 1974 haben wir es geschafft, eine in dieser Fachrichtung in Österreich einzigartige Bibliothek aufzubauen.
Mit dem 1. Oktober 2003 trat die neue Studienordnung in Kraft, wonach das Institut zwei Bakkalaureatsstudien (Hungarologie und Fennistik), und zwei Magisterstudien (Ungarische Literaturwissenschaft und Finnisch-ugrische Sprachwissenschaft) anbietet. Im Zusammenhang mit dem allgemeinen Übergang auf das “Bologna-System” wurden diese durch nochmals erneuerte Curricula ersetzt; die neuen Masterstudien heißen MA Hungarologie und MA Finno-Ugristik (s. Curricula).
Seit dem 1. Januar 2005 gehört das Institut für Finno-Ugristik als Abteilung zum neu eingerichteten Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft.
Neben der Hungarologie, die das traditionsreichste Gebiet unserer Abteilung darstellt und deren Bedeutung in Österreich kaum überschätzt werden kann, entwickelt sich seit den 1970er Jahren unsere Fennistik, seit 2003 mit eigenen BA-Studien (sowie mit der Möglichkeit, das MA-Studium Finno-Ugristik mit hauptsächlich fennistischen Schwerpunkten zu gestalten). Zur Geschichte unserer Fennistik entstand im Sommersemester 2011, als Ergebnis eines Praktikums mit unseren BA-Studierenden, eine Sammlung von Texten und Illustrationen.
Die Rolle der estnischen Sprache und Kultur ist leider ressourcenbedingt bescheiden geblieben. Nach Imbi Sooman, die seit den 1970er Jahren neben ihrer Hauptbeschäftigung als Schwedischlektorin auch unsere Estnischkurse hielt, wird Estnisch heute von unserer Absolventin Triinu Viilukas unterrichtet. Estnisch gehört als Pflichtmodul zum BA-Studium Fennistik, weitere Studien können im MA-Studium Finno-Ugristik angerechnet werden. Das knappe Lehrangebot versuchen wir auch mit Hilfe von Gastlehraufenthalten aus Estland zu erweitern.
Zur Gründung der Wiener Finno-Ugristik s. auch:
Deréky, Pál (2015), Zur Vorgeschichte der Gründung des Instituts für Finno-Ugristik an der Universität Wien. In: Márta Csire, Erika Erlinghagen, Zsuzsa Gáti, Brigitta Pesti & Wolfgang Müller-Funk (Hgg.), Ein Land mit Eigenschaften: Sprache, Literatur und Kultur in Ungarn in transnationalen Kontexten. Wien: Praesens Verlag, 19–43.